Thema des Tages
25-08-2025 10:50
Wissenschaft kompakt
Der Landgang eines Tropensturms
Sobald ein Tropensturm an Land geht, ist in den meisten Fällen von
einer Abschwächung auszugehen. Beim genauen Betrachten dieses
Vorgangs gibt es aber auch Ausnahmen, die wir im heutigen Thema des
Tages näher betrachten wollen.
Wir befinden uns ja aktuell mitten in der Hurrikansaison 2025 und
hatten bisher glücklicherweise nur zweimal von einem Landgang zu
berichten ? Ende Juni traf Tropensturm Barry im Süden von Texas an
Land sowie Chantal Anfang Juli im Südosten der USA.
Tropische Stürme sind beeindruckende Energiebündel, die sich meist
über den tropischen Meeren bilden und im Zusammenspiel mit warmem
Meerwasser, einer nur geringen Zunahme des Windes mit der Höhe
(Windscherung) sowie mit einer feuchten Troposphäre innerhalb weniger
Tage nicht selten rasant an Kraft zulegen können. Manchmal passieren
die heftigsten Intensivierungsschübe innerhalb nur weniger Stunden
und lassen die diensthabenden Meteorologen vor Ort gehörig ins
Schwitzen kommen. Häufig sind es diese Phasen im Leben eines
tropischen Sturms, wo medial (besonders international) noch eher
wenig berichtet wird. Meist steigt das Interesse der Medien
verständlicherweise deutlich an, sobald sich so ein Tropensturm einer
bewohnten Insel oder einer Landmasse nähert.
Nicht nur bei der Intensivierung eines Tropensturms greifen
zahlreiche Mechanismen, die sich im ungünstigsten Fall gegenseitig
aufschaukeln können und die Rate der Verstärkung diktieren. Auch beim
Landgang eines tropischen Sturms wird nicht automatisch (wenigstens
zeitnah) eine Abschwächung eingeläutet. Diese Unsicherheiten lassen
nicht selten die numerischen Verfahren bzw. die diensthabenden
Meteorologen verzweifeln.
Der sicherlich bekannteste Effekt beim Landgang eines Tropensturms
ist der sogenannte "brown ocean effect, BOE", der im Zuge einer NASA
Studie aus dem Jahr 2013 seinen Platz in zahlreichen Auswertungen
fand. Dieser Effekt beschreibt grob beschrieben eine verzögerte
Abschwächung bzw. temporär gar eine erneute Intensivierung über
Land. Hierfür muss aber die richtige Bodenbeschaffenheit vorhanden
sein, die neben eines sehr hohen Feuchtegehalts auch eine hohe
Verdunstungsrate ermöglicht. Letztendlich muss eine anhaltende und
kräftige Wolken- und Niederschlagsbildung gewährleistet sein, um den
Motor des tropischen Systems auch über Land am Laufen zu halten.
Diese Beobachtungen gingen dabei auf Untersuchungen eines tropischen
Systems zurück (Tropensturm ERIN), das sich nach der Passage über
Texas Mitte August 2007 über Oklahoma plötzlich erneut intensivierte
(siehe BILD 1). Durch die Interaktion der Reste von Ex-ERIN mit einer
außertropischen Störung (einer Kurzwelle), konnte sich Ex-ERIN über
Oklahoma vorübergehend deutlich strukturieren. Über mehrere Stunden
traten an einigen Stationen anhaltende Winde von Bft 9 bis 10 auf,
inklusive einzelner Orkanböen (Bft 12). Noch dramatischer jedoch
waren die Zunahme und Intensivierung der hochreichenden Konvektion
mit der temporären Ausbildung eines Auges, sodass regional mehr als
200 l/m2 Niederschlag in kurzer Zeit fiel. Dabei sorgte dieser
Entwicklungsschub von Ex-ERIN für mehr wetterbedingte Todesopfer als
zur Zeit seines Landgangs im Süden von Texas als waschechter
Tropensturm.
Etwas versteckt kann so ein Prozess auch in Form eines langlebigen
mesoskalig konvektiven Wirbels (engl. Mesoscale convective vortex,
MCV) ablaufen, der pulsierend als Rest eines an Land gegangenen
Tropensturms besonders ab den Abendstunden regional heftige
Niederschläge und teils auch Böen bis weit ins Landesinnere trägt.
Das tragische Beispiel eines solchen Ereignisses wurde im Thema des
Tages vom 13.07.2025 beschrieben. (LINK1 )
Es gibt aber noch einige andere Faktoren, die den Landgang eines
Tropensturms nicht selten unberechenbar bzw. schwer vorhersagbar
machen.
Der Tropensturm ist ja ein sich rasch drehendes System, bestehend aus
sehr schnell um ein Zentrum wirbelnder Winde, die somit ein hohes Maß
an Wirbelhaftigkeit bzw. Rotation aufweisen, im engl. unter dem
Begriff "Vorticity" bekannt. Über Wasser, wo das tropische System
keine Landmassen oder aber andere meteorologische Faktoren wie
Fronten oder Tröge (mit hoher Windscherung) stören, ist so ein Sturm
meist durch eine symmetrische, nahezu kreisrunde Verteilung der
Vorticity auszumachen. Mittlerweile können sehr hochaufgelöste
numerische Simulationen gar diese Vorticity weiter auflösen in
unzählige, sich um das Zentrum windende Vorticity-Fragmente und
Schlieren. Der Einfachheit halber aber sehen wir den Sturm als eine
einheitliche Rotationsmasse an.
Trifft der Sturm nun an Land, so wird natürlich auch erst ein Teil
des Sturmes durch die Interaktion mit dem Land negativ bzw. positiv
beeinflusst.
Negativ, weil das Windfeld und die begleitende Rotation durch die
Interaktion mit der Landmasse in dem Bereich regelrecht fragmentiert
bzw. vereinfacht gesagt stark gestört wird. Das hat meist eine
Abnahme der Symmetrie und regional auch der intensiven Konvektion zur
Folge und kann sich z.B. sehr kurzfristig auf die Verlagerung eines
Sturmes auswirken. Fachlich wird das u.a. als "trochoidal motion"
bezeichnet und kann z.B. durch eine asymmetrische Verteilung der
Vorticity bzw. der begleitenden intensiven Konvektion hervorgerufen
werden (neben weiteren Einflüssen). Bereits kleinste Abweichungen des
Zentrums von der vorhergesagten Zugbahn können dabei enormen Einfluss
z.B. auf Evakuierungszonen haben. Auch das Ausmaß der küstennahen
Überflutung wird bedeutend von der exakten Zugbahn beeinflusst,
weshalb es immer besser ist, die evakuierten Bereiche etwas gröber zu
fassen.
Wiederholt tritt dieser Effekt in beeindruckender Weise vor Taiwan
auf. Wenn die Taifune hier aus südöstlicher Richtung auf die Insel
treffen, ergeben sich durch den Einfluss der bergigen Region nicht
selten beeindruckende Abweichungen von der vorhergesagten
Verlagerung. Nicht selten werden gar Loopings beobachtet. Dies kann
man in Bild 2 erkennen, wo einige dieser Zugbahnen übereinandergelegt
wurden.
Positiv (mit Blick auf den Organisationsgrad des Sturmes) kann sich
die Landinteraktion aber auf die Konvektionsbänder auswirken, die
einen ausgewachsenen Sturm in den meisten Fällen begleiten. Durch die
vorübergehend verstärkte Konvergenz entlang der Küste wird die
Konvektion innerhalb der Bänder zeitnah intensiviert, was nicht nur
die Regenraten erhöht, sondern auch das Potenzial für höhere
Windgeschwindigkeiten verstärkt. Dies kann sich natürlich ebenfalls
auf die ggf. noch nicht abgeschlossene Evakuierung auswirken, denn
nicht selten sorgen bereits diese Bänder weit abseits vom
eigentlichen Sturm für die ersten umgeknickten Bäume oder
unterbrochenen Stromleitungen.
Ansonsten kann man aber natürlich unter dem Strich sagen, dass über
kurz oder lang die innere Struktur eines Tropensturms beim Landgang
nachhaltig degradiert wird, was einen mehr oder weniger schnellen
Abschwächungstrend induziert. Dieser findet umso nachhaltiger statt,
je höher die störende Orografie ist. Eine zunehmende Windscherung,
fehlendes Wasser bzw. auch zunehmende Windscherung und/oder
trockenere Luftmassen sorgen dann in der Folge für eine Abschwächung
des tropischen Sturms bzw. bei weit nordwärts ausgreifenden Zugbahnen
auch für eine außertropische Umwandlung.
Aktuell trifft der Taifun KAJIKI auf das südliche Nordvietnam, bringt
den Regionen Orkanböen und heftigen Regen, bevor sich der Sturm unter
zügiger Abschwächung über dem Norden von Laos und Thailand bzw. im
Osten von Myanmar auflöst, dort allerdings heftige Regenfälle mit der
Gefahr von Sturzfluten und Erdrutschen auslöst. Nicht selten fallen
solche Auflösungsprozesse über bergigen Landmassen schadensträchtiger
aus als der eigentliche Landgang, was leider auch die Anzahl der
Todesopfer betrifft. Auch bei diesem Sturm konnte ein Einfluss der
Landnähe (allerdings ohne direkten Landgang) beobachtet werden. In
Bild 3 ist zu sehen, wie sich die Augenwand während der Passage knapp
südlich der Insel Hainan immer weiter intensivieren und das Auge gar
schließen konnte. Dabei erkennt man die Konvektion vor allem durch
die rote bis schwarze Einfärbung, was auf der Farbskala entsprechend
niedrige Temperaturwerte darstellt. Hier spielte sicherlich neben
weiteren Mechanismen auch die verstärkte Konvergenz zwischen KAJIKI
und Hainan eine Rolle, die für eine Intensivierung der Gewitter im
Nordrand der Augenwand sorgte.
Es bleibt nun zu hoffen, dass das Ausmaß der Zerstörung durch den
Taifun überschaubar bleibt.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.08.2025
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