Thema des Tages

16-12-2017 14:40

Haare aus Eis

Der Name des Phänomens Haareis (manchmal auch Eiswolle genannt)
ergibt sich direkt aus seinem Erscheinungsbild. So bilden sich an
Wintertagen an manchen herumliegenden Ästen oder abgestorbenen
Bäumen bis zu 10 Zentimeter lange und dicht stehende Eishaare. Das
angehängte Bild (unter http://www.dwd.de/tagesthema) zeigt ein
solches Phänomen, aufgenommen in der Rhön am 31.01.2014.
Haareis bildet sich in Mischwäldern vor allem an schneefreien
Wintertagen, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist und die Temperatur
nur wenig unter 0 Grad liegt. Dabei sind die genauen Details der
Bildung noch immer Gegenstand der Forschung.

Bereits im Jahre 1918 hat Alfred Wegener einen Beitrag über Haareis
auf morschem Holz in der Zeitschrift ?Die Naturwissenschaften?
veröffentlicht. Da Wegener nur auf manchen herumliegenden Aststücken
das Phänomen beobachten konnte, vermutete er einen Pilz als Auslöser.
Während es zu dieser Zeit die Vermutung gab, dass das Eis seinen
Ursprung aus der Luft hatte, war Wegener der Meinung, dass das Wasser
aus dem Holz stammt. Die Feststellungen von Wegener wurden in der
Folge von anderen Wissenschaftlern diskutiert. Dr. W. Emeis war der
Ansicht, dass die Bildung von Eiswolle ein rein physikalisches
Phänomen ist und nichts mit Pilzen zu tun hat.
Im Jahr 1985 experimentierte Karl Lenggenhager an dem Phänomen, in
dem er entrindete Aststücke in Wasser einlegte und anschließend
kalten Temperaturen aussetze. Abgesehen von einem weißen Überzug
bildete sich aber kein Haareis. Einzig auf mitgenommenen Buchenästen,
die schon in der Natur Eiswolle angesetzt hatten, gelang die
Züchtung.

Bis heute hat es weitere Untersuchungen zu diesem Phänomen gegeben,
wobei sich vor allem Gerhart Wagner um den aktuellen Stand der
Forschungen verdient gemacht hat.
Mittlerweile sind einige Dinge klar: Haareis bildet sich an
abgestorbenen Holzkörpern, wobei sich die Rinde gerade ablöst oder
schon abgelöst hat. Die Haare haben eine Dicke von 0.01 bis 0.1 mm
und können mal glatt und mal rau sein. Manchmal lassen sich auch
sogenannte Schneeflöhe in den Haareisansammlungen finden.
Es scheint heute gesichert, dass die Eiswolle ihren Ursprung in der
Feuchtigkeit des Totholzes hat. Auch gibt es in neuen Studien weitere
Hinweise auf darauf, dass ein lebender Pilz hinter dem Phänomen
steckt. Diese Pilze leben von organischen Nährstoffen aus dem Holz
und wandeln sie in CO2 und Wasser um. Dieses feuchte Gasgemisch
verlässt das Holz über sogenannte Holzstrahlen. Das sind radial nach
außen verlaufende Reihen dünnwandiger Zellen, die ein dichtes System
feiner Kanäle bilden.

Verschiedene Experimente bestätigen die Pilzhypothese. Beispielsweise
lassen sich Züchtungen nur erfolgreich mit Hölzern durchführen, die
auch in der Natur schon Haareis angesetzt hatten. Bei Holzstücken, wo
zum Teil noch intakte Rinde zu finden war, ließen sich Rückstände von
Fruchtkörpern der Pilze finden. Sobald die Temperatur unter den
Gefrierpunkt sinkt, setzt auf den durchnässten, aber oberflächlich
abgetrockneten Hölzern, die Bildung der Eishaare ein. Die
Wachstumsgeschwindigkeit ist beeindruckend und lag in der
Anfangsphase bei einem halben bis über einem Zentimeter pro Stunde.
Später verlangsamt sich das Wachstum.
In einem weiteren Experiment wurde versucht, den Pilz auszuschalten,
indem man die haareisproduzierenden Holzstücke vorher testweise
Hitze, Alkohol und Fungizid (Wirkstoff zum Abtöten von Pilzen)
aussetzte. Die Hitzebehandlung führt dazu, dass die Haareisbildung in
der folgenden Nacht entweder deutlich vermindert war, oder komplett
unterblieb. Auch das Fungizid unterdrückte bei genügend langer
Einwirkzeit die Bildung von Eiswolle vollständig. Alkohol führte
ebenfalls zu einer Beeinträchtigung, allerdings erst ab Tag zwei.
Interessant ist zudem die Erkenntnis, dass Nachzüchtungen nur eine
gewisse Zeit möglich sind, sodass zu vermuten ist, dass der Pilz
abstirbt, wenn die Nährstoffe aus dem Totholz aufgebraucht sind.
Somit lässt sich zusammenfassen, dass die Haareisbildung mit hoher
Wahrscheinlichkeit auf den Stoffwechsel von Pilzen zurückgeht. Das
resultierende CO2 liegt übersättigt im Wasser des Holzes vor und
sorgt durch den entstehenden Gasdruck für den Ausstoß des Wassers.
Gleichzeitig sind die biologischen Pilzbestandteile Grundlage für die
Bildung von Eis. Wichtig ist, dass auch die Umgebungsluft gesättigt
ist, da sonst der Eisflaum rasch wieder verschwindet. Das biologische
Material scheint zudem der Anziehungspunkt von den manchmal zu
beobachteten Eisflöhen zu sein. Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt
mit sinkender Temperatur ab, da bei zu kalten Temperaturen der Pilz
nicht mehr arbeitet.

Die umfassende Studie ist nachzulesen unter:
http://www.wagnerger.ch/daten/Maetzler-Wagner.pdf Vielleicht können
Sie bei einem aufmerksamen Waldspaziergang an diesem Wochenende in
den noch nicht verschneiten Gebieten das Phänomen selbst antreffen.
Über ein Foto davon würden wir uns in jedem Fall sehr freuen.


Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.12.2017

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