DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

26-10-2017 09:00
SXEU31 DWAV 260800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 26.10.2017 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von Wa (West antizyklonal) zu NWz (Nordwest zyklonal)

Zunächst ziemlich ruhiges Wetter, am Freitag erstes substanzielles Aufflackern
des Windes, am Wochenende Steigerung zu einer zumindest in Teilen Nord- und
Ostdeutschlands veritablen Sturmlage mit der Gefahr von Orkanböen an der Nordsee
und in exponierten Hochlagen.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... befindet sich Deutschland am Rande eines umfangreichen
Höhenrückens mit Zentrum über SW-Europa. Daraus resultiert eine glatte
west-nordwestliche Höhenströmung, die erst in der kommenden Nacht nachhaltig
gestört wird. Zuvor sind keine nennenswerten dynamischen Prozesse erkennbar, so
dass der heutige Wetterablauf vergleichsweise unspektakulär über die Bühne geht.

Das liegt nicht zuletzt auch an der inaktiven und nahezu stationären
Luftmassengrenze, die zonal über der "nördlichen Mitte" liegt und ein Tief über
dem Baltikum mit einem weiteren Tief über dem Ostatlantik verbindet. Die
Luftmassengrenze trennt erwärmte subpolare Meeresluft im Norden (T850 3-6°C),
von milderer Luft im Süden (T850 teils über 10°C), die unter leichtem
Hochdruckeinfluss gealtert ist. Dort scheint heute nach Nebelauflösung für
längere Zeit die Sonne, insbesondere an den Alpen und im Vorland sowie in den
südlichen Regionen Baden-Württembergs. Der Goldene Oktober wird am Nachmittag
gekrönt mit Tageshöchsttemperaturen von rund 20°C, stellenweise sogar noch 1-2
Grad darüber, herzlichen Glückwunsch!
So mild wird es weiter nördlich freilich nicht, was nicht nur der Luftmasse
sondern auch der vielfach stärkeren und dichteren Bewölkung geschuldet ist.
Niederschlagsmäßig tut sich tagsüber allerdings nicht allzu viel. An der Front
könnte es besonders im nördlichen Mittelgebirgsraum mal für ein paar Spritzer
reichen, das war es dann aber auch schon. Die subpolare Luftmasse ist nur in der
Grundschicht bis etwa 850/800 hPa leicht labil geschichtet, so dass Schauer
quasi unmöglich sind. Im nördlichen SH sowie an der Ostsee lockert die
Wolkendecke hin und wieder mal etwas auf bei maximalen Temperaturen um 15°C.
Warntechnisch steht - nachdem sich die Nebelfelder im Süden im Laufe des
Vormittags entweder aufgelöst oder aber gelichtet haben - lediglich ein wenig
Wind auf der Karte, der an der Küste aus W bis NW kommend mitunter auffrischt
und dabei bevorzugt an exponierten Stellen ein paar steife Böen 7 Bft zustande
bringt. Auf dem Brocken muss mit stürmischen Böen 8 Bft gerechnet werden.

In der Nacht zum Freitag kommt dann allmählich Leben in die "Bude". Als
Impulsgeber fungiert ein weitgehend zonal von Skandinavien nach Westen
ausgerichteter Höhentrog, der sich von Norden her dem Vorhersageraum nähert.
Zwar ist vorderseitig KLA wirksam, die im diffluenten Potenzialfeld aber mehr
und mehr von PVA überkompensiert wird, so dass letztlich eine dynamische
Hebungskomponente induziert wird. Das wiederum führt dazu, dass die bis dato im
Oktoberschlaf befindliche Luftmassengrenze aktiviert wird, sowohl im Hinblick
auf Vertikalbewegung als auch auf horizontale Verlagerung. Im Klartext, die
Front kommt langsam nach Süden voran und erzeugt dabei in ihrem Bereich sowie
präfrontal teils schauerartige Regenfälle, die vor allem die mittleren
Landesteile traktieren. 12-stündig kommen dabei meist einstellige Mengen
zusammen, lediglich im Stau der Mittelgebirge könnte lokal die 10mm-Schwelle mal
geknackt werden. Im äußersten Süden bleibt es bis zum Morgen noch trocken und
zunächst auch längere Zeit klar, so dass sich noch mal ein paar Nebelfelder
bilden können. Ob die Sichtweite dabei allerdings überregional unter 150 m sinkt
(Warnschwelle), darf bezweifelt werden (später von Norden her Wolken sowie
geringfügige Windzunahme).
In den Norden gelangt mit Rechtdrehung des Windes ein Schwall etwas kälterer
Meeresluft, in der die 850-hPa-Temperatur bis zum frühen Morgen auf rund +1°C
und die 500-hPa-Temperatur auf -24 bis -28°C zurückgeht. Das führt unweigerlich
zu einer Labilisierung, die sich in aufkommenden Schauern widerspiegelt, vor
allem nach NO hin, wo die höhenkälteste Luft anlandet. Da die Meeresoberfläche
noch einigermaßen warm ist - relativ gesehen jedenfalls -, könnte mit
diabatischer Unterstützung sogar ein kurzes Gewitter dabei sein, auch wenn kaum
CAPE simuliert wird.
Fakt ist, dass der Wind an der Küste und allgemein im höheren Bergland zulegt,
so dass die 7er-Böen häufiger werden und auch 8er-Böen mit ins Spiel kommen.
Exponiert (z.B. Brocken, Fichtelberg, vereinzelt Nordsee) sind sogar Sturmböen 9
Bft wahrscheinlich. Im Binnenland wird die Warnschwelle zunächst wahrscheinlich
noch nicht erreicht, am ehesten sind in SH sowie küstennah einzelne 7er-Böen
möglich.

Freitag... schwenkt der Höhentrog rasch über Deutschland süd-südostwärts hinweg.
Zur Mittagszeit liegt seine Achse bereits auf einer Linie Böhmisches
Becken-Alpen. Dahinter steilt die Strömung über dem Vorhersageraum auf NW bis N
auf, wobei von Nordwesten übergreifende WLA für eine Stabilisierung der
Schichtung sorgt. So steigt die 500-hPa-Temperatur mit Ausnahme der östlichen
Landesteile (dort noch unter -20°C) auf deutlich über -20°C, während in 850-hPa
die Temperatur mit 0 bis +3°C relativ stabil bleibt.
Wie auch immer, zwischen einem sich bei UK/Irland kräftigendem Hoch (im Zentrum
auf über 1035 hPa) und dem sich vom Baltikum nur langsam ostwärts ziehenden Tief
stellt sich ein flotter NW-Wind ein, der die Kaltfront rasch gegen die Alpen
drückt bzw. diese überqueren lässt. An den Alpen selbst stellt sich eine
Staulage mit länger andauernden Niederschlägen ein, wobei die Schneefallgrenze
bis zum Abend etwa gegen 1500 m sinkt. Zwar simulieren einige Modelle (darunter
ICON, EURO4 und auch GFS) in exponierten Staulagen vereinzelt kleinere
"Hot-Spots" mit Mengen von etwas über 25mm/12h, eine markante Dauerregenwarnung
drängt sich deswegen aber nicht auf. Dahinter lässt der anfängliche Regen mit
Abzug der Front von Norden her rasch nach und es stellt sich in der
einfließenden maritimen Polarluft landesweit wechselnde Bewölkung ein. Dabei
hält sich die Schaueraktivität aufgrund der oben genannten Stabilisierung der
Schichtung in Grenzen (Sperrschicht bei 800 hPa). Nur nach Osten hin, wo sich
noch längere Zeit Reste der höhenkalten Luft befinden, entwickeln sich Regen-
oder Graupelschauer, die vereinzelt - wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit
(kaum CAPE) - gewittrig sein können.
So rückt aus warntechnischer Perspektive einmal mehr der NW-Wind in den
Blickpunkt des Geschehens. Er frischt mitunter stark böig auf, wobei der
Schwerpunkt im Norden und Osten zu sehen ist. Dort werden im Binnenland Böen 7
Bft, im Falle von Schauern auch 8 Bft (in 925 hPa bis 40 Kt, in 850 hPa bis 45
Kt) erreicht. Wo genau dann letztlich die Abgrenzung im Sinne von Warnungen zum
windschwächeren Westen und Süden (dort evtl. mit und vor der Kaltfront ein
vorübergehendes Aufflackern des Windes mit Böen 7 Bft) erfolgt, muss ausgangs
der kommenden Nacht, spätestens morgen früh geklärt werden. Tatsache ist, dass
an der Küste und in exponierten Kamm- und Gipfellagen mit Böen bis Stärke 9 Bft
(Brocken, Fichtelberg vielleicht auch mal eine 10 Bft) zu rechnen ist. Im Laufe
des Nachmittags und Abends lässt der Wind etwas nach.
Temperaturmäßig landen wir in der gut durchmischten Luftmasse bei
Tageshöchstwerten von 10 bis 16°C, woran man erkennen kann, dass sich in dieser
Jahreszeit polare Luftmassen aufgrund der hohen Wassertemperaturen der
vorgelagerten Seegebiete noch veritabel erwärmen können.

In der Nacht zum Samstag wandert ein von der Nordsee und Südskandinavien
kommender flacher Rücken südostwärts über Deutschland hinweg. Er wird komplett
von WLA überlaufen, so dass es in weiten Teilen des Landes stark bewölkt bleibt.
Am ehesten lockert die Wolkendecke im SW auf, was dort ein paar Nebelfelder zur
Folge hat. Viel Regen fällt nicht, und auch die Staulage an den Alpen geht zu
Ende (bei zuvor noch etwas sinkender Schneefallgrenze) - erstmal. Auf der
N-NO-Flanke eines nach Süddeutschland und zu den Alpen gerichteten
Bodenhochkeils (er geht von dem zitierten Hoch bei Irland/UK aus) dreht die
bodennahe Strömung etwas zurück und schwächt such tagesgangbedingt vorübergehend
weiter ab. Für die Küste gilt das allerdings nicht, hier verschärft sich die
Situation nach einem abendlichen Minimum wieder etwas, so dass dort ebenso wie
in den Hochlagen der nördlichen und östlichen Mittelgebirge sowie der
Alpengipfel Böen 8-9 Bft auftreten, auf exponierten Gipfeln/Kuppen auch 10 Bft.


Samstag... weitet sich ein Langwellentrog über Nordeuropa nach Süden bzw.
Südosten aus. Auf seiner SW-Flanke bleibt uns die lebhafte nordwestliche
Höhenströmung nicht nur erhalten, sie nimmt sogar noch zu, wobei im Tagesverlauf
ein wohldefinierter Jet auf den Vorhersageraum übergreift. Auch im
Bodendruckfeld nimmt der Gradient weiter zu, weil auf der einen Seite das Hoch
stabil bleibt und auf der anderen Seite sich das Tiefdrucksystem über
Skandinavien nach Süden ausweitet.
Diagnostisch konstatieren wir weiterhin veritable WLA, was uns in weiten Teilen
des Landes ein Überangebot an Bewölkung garantiert. Einzig in den südlichen
Landesteilen, namentlich in BW und im südlichen Bayern, stehen die Chancen auf
größere Wolkenlücken respektive sonnige Abschnitte gar nicht mal so schlecht.
Dort bleibt es bis zum Abend auch weitgehend trocken.
Ansonsten greifen von NW her flach in der Strömung liegende Fronten auf
Deutschland über, die für zusätzliche Hebung sorgen, so dass sich zu der starken
Bewölkung auch noch Regen gesellt, der sich von NW her über Norddeutschland
rasch bis in den Osten und die Mitte ausbreitet. Etwaige Warnschwellen werden
dabei aber nicht gerissen, was für den Wind aber mal so was von gar nicht gilt.
Oder mit anderen Worten, der auf westliche Richtungen rückdrehende Wind frischt
allgemein auf, wobei der stärkste Gradient abermals im Norden und Osten
anzutreffen ist. Dort muss verbreitet mit Böen 7-8 Bft, an der See und in
Hochlagen 8-9 Bft, exponiert (Brocken, Fichtelberg, gegen Abend vielleicht auch
schon vereinzelt an der Küste) sogar 10 bis 11 Bft gerechnet werden. Im Westen
und Süden treten ebenfalls 7er-Böen auf, während Böen 8 Bft in tiefen Lagen
seltener sind. In und auf den Bergen sind 8-9er-Böen aber Standard, exponiert
gibt es auch schwere Sturmböen 10 Bft.
Mit 9 bis 15°C wird es in der einfließenden subpolaren Luftmasse noch mal
relativ mild, wobei die höchsten Werte am Oberrhein anzutreffen sein werden.

In der Nacht zum Sonntag verschärft sich die Sturmlage in Deutschland bzw.
steuert ihrem Höhepunkt entgegen. Ursache ist ein kleines aber sehr
wirkungsvolles Randtief, das sich über dem Skagerrak bildet und mit einem
Kerndruck von etwas unter 985 hPa (ICON; GFS simuliert etwas unter 980 hPa, IFS
"nur" einen Bodentrog) bis zum frühen Morgen via Kattegat zur westlichen Ostsee
zieht. Zwischen dem äußersten NO und dem äußersten SW liegen dann rund 35 hPa
Unterschied, was ein stattlicher Wert ist. Hinzu kommt, dass in der zweiten
Nachthälfte ein sich verschärfender KW-Trog auf den Norden und Nordosten
übergreift, der nicht nur dynamisch einiges auf dem Katen hat, sondern auch mit
bis zu -30°C kalter Höhenluft in 500 hPa gefüllt ist.
Kurzum, in der Nacht erfolgt eine landesweite Windzunahme, wobei der Wind im
Norden wieder auf Nordwest rechtdreht und somit die Zufuhr polarer Meeresluft
arktischen Ursprungs einleitet. Verbreitet treten Böen 8-9 Bft an der Küste und
im Bergland (je nach Exposition) Böen bis Orkanstärke 12 Bft auf, wobei die
Nordsee orkananfälliger ist als die Ostsee. Hinzu kommen im N und NO mit dem
Trog kräftige Schauer und kurze Gewitter, die im Extremfall mit schweren
Sturmböen oder orkanartigen Böen einhergehen können.
An den Alpen stellt sich erneut eine Staulage ein, die sehr wahrscheinlich etwas
substanzieller ausfällt als die vom Freitag, auch wenn sich die von ICON
offenbarten 12h-Niederschläge bis Sonntag 06 UTC (teils 30 bis 50 mm) deutlich
von den Simulationen anderer Modelle abheben. Hier gilt es, die nächsten Läufe
weiter zu beobachten, was aber sowieso zum Basiswesen unseres täglichen
Geschäfts gehört.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle modellieren die grundlegende Entwicklung sehr ähnlich. Unterschiede
ergeben sich wie schon erwähnt bei den Niederschlagsmengen, wo ICON meist die
Pole-Position einnimmt. Und auch einige Details zur Sturmlage in der Nacht zum
Sonntag gilt es noch auszufeilen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann