Thema des Tages

16-10-2017 14:40

Die teils rasante Intensivierung von Tropenstürmen

Wie bereits im Thema des Tages vom 1. Juni 2017
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2017/6/1.html)
beschrieben, wurde für den Nordatlantik eine aktive Saison
vorhergesagt. Bisher entwickelten sich in diesem Jahr 15 benannte
Stürme, 10 Hurrikane und davon 6 sogenannte "major" Hurrikane, also
der Kategorie 3 oder höher auf der 5-teiligen
Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala. Auffällig dabei ist, dass viele der
Tropenstürme, die sich zu Hurrikanen verstärkten, besonders kräftige
Systeme waren und die saisonale Vorhersage von sogenannten "major"
Hurrikanen gar übertroffen wurde.

Im Folgenden wird näher auf die Intensivierungsphase eines Hurrikans
eingegangen. Grundsätzlich entscheiden mehrere meteorologische
Parameter, wie schnell sich ein Tropensturm zu einem Hurrikan
entwickelt und wie intensiv er danach auf der 5-teiligen
Saffir-Simpson-Hurrikan Skala ausfällt. Für eine Verstärkung wird
eine scherungsarme Umgebung benötigt. Das heißt, der Wind sollte mit
der Höhe nicht allzu kräftig zunehmen, damit sich Gewitter in Ruhe um
ein gemeinsames Tiefdruckzentrum organisieren und strukturieren
können. Zudem sollte die Troposphäre hochreichend feucht sein. Ein
Trugschluss ist, dass dies in den Tropen immer gegeben ist, denn von
Afrika aus wird hin und wieder eine trockene und heiße Luftmasse
westwärts über den tropischen Atlantik geführt, was die Entwicklung
und/oder Intensivierung von Tropenstürmen vorübergehend unterdrücken
kann. Förderlich sind des Weiteren hohe Wassertemperaturen, damit
sich kräftige Gewitter entwickeln können.

Wenn diese Bedingungen gegeben sind und der Tropensturm nicht auf
Land trifft, muss von einer Verstärkung ausgegangen werden. Sind nun
aber einige oder alle diese Zutaten gegeben (sehr geringe Scherung,
eine sehr feuchte mittlere Troposphäre und ausgesprochen warme
Meeresoberflächentemperaturen), kann es zu der gefürchteten "rasanten
Intensivierung" eines Tropensturmes kommen. Unterschiedliche Studien
kamen für den Nordatlantik zu dem Ergebnis, dass bei einem
Luftdruckfall im Zentrum eines Sturms von mindestens 25 hPa in 24
Stunden oder einer Windzunahme von 30 kt (etwa 56 km/h des
1-minütigen Mittelwindes) von einer rasanten Intensivierung
ausgegangen werden kann (klimatologisch rasante Intensivierungsrate).
Allerdings gibt es zu diesen Schwellwerten noch unterschiedliche
Meinungen, auch ob Druckfall oder Windzunahme herangezogen werden
sollen.

Diesem Beitrag beigefügt ist im ersten Bild eine Grafik mit der
Windgeschwindigkeit in km/h auf der y-Achse und einem zeitlichen
Verlauf in Stunden auf der x-Achse. Im zweiten Bild wurde auf der
y-Achse der Kerndruck aufgetragen. Die jeweils schwarz-punktierte
Linie stellt die klimatologische Intensivierungsrate eines
Tropensturms für die Windgeschwindigkeit und den Kerndruck dar.
Zusätzlich sind auch noch die Hurrikane "Jose", "Irma", "Harvey"
(alle von 2017 im Nordatlantik und in der Karibik), Hurrikan "Otis"
(2017 im Nordostpazifik) und Hurrikan "Patricia" (2015 ebenfalls im
Ostpazifik) farblich eingetragen.

Bei der Windgeschwindigkeit fällt auf, dass diese Hurrikane allesamt
Phasen aufwiesen, in denen sie sich schneller als bei der
klimatologisch rasanten Intensivierungsrate verstärkten. Hurrikan
"Otis" zum Beispiel verdoppelte seine Windgeschwindigkeit von rund 90
km/h auf mehr als 180 km/h in 12 Stunden, Hurrikan "Irma" verstärkte
sich von rund 220 km/h binnen 24 Stunden auf knapp 300 km/h mittlere
Windgeschwindigkeit und Hurrikan "Patricia" intensivierte sich
innerhalb von knapp 24 Stunden von 170 km/h auf rund 340 km/h
(einminütige Windgeschwindigkeiten). In den Saisons 2015 und
besonders 2017 erlebten sehr viele Tropenstürme eine rasante
Intensivierungsphase, was vor allem auf die sehr hohe
Wassertemperatur um 30 Grad und geringe Windscherung in diesen
Bereichen zurückgeführt werden kann.
Ähnliches ist beim Kerndruck zu beobachten. Hurrikan "Otis" erlebte
einen Druckfall von rund 30 hPa in 12 Stunden und "Patricia" gelang
gar innerhalb von rund 24 Stunden ein Druckfall von rund 100 hPa auf
etwas über 870 hPa. Nur zum Vergleich: Unserer erster Herbststurm
"Sebastian" über der Nordsee Mitte September wies einen Kerndruck von
980 hPa auf.

Die Intensitätsänderungen sind in der Tropensturmvorhersage weiterhin
ein großes Mysterium. Meist kann zwar grob festgestellt werden, dass
die Bedingungen für eine rasante Intensivierung günstig sind, doch ob
und wann die Verstärkung genau einsetzt, lässt sich auch heutzutage
kaum vorhersagen. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte, wie
wahrscheinlich es ist, dass sie auftritt. Ist der Hurrikan sehr klein
und kompakt (wie "Otis"), kann er sich sehr schnell verstärken oder
auch abschwächen. Analog kann es ebenfalls zu extremen
Intensitätsschwankungen kommen, wenn der Tropensturm ein äußerst
kleines Auge entwickelt (ein sog. "pinhole eye", wie es bei Hurrikan
"Patricia" der Fall war).

Wie gefährlich solch ein Intensivierungsschub sein kann, zeigte
Hurrikan "Harvey", der sich kurz vor Landgang an der Küste von Texas
(USA) trotz der Landnähe nochmals sehr schnell verstärkte, wobei die
Mittelwinde von 130 km/h auf rund 210 km/h in 24 Stunden zulegten und
der Kerndruck um mehr als 35 hPa fiel. Mit voller Wucht traf er auf
Land und sorgte dort neben den Regenfällen auch durch den Wind für
große Zerstörung.

Zusammengefasst ist festzustellen, dass im Bereich der
Tropensturmvorhersage noch viel Forschung erbracht werden muss, damit
eines Tages mit genügend zeitlichem Vorlauf abgeschätzt werden kann,
ab wann und wie rasch sich ein Tropensturm innerhalb der kommenden
Stunden verstärkt. Bis dahin bleibt nur eine zeitlich und räumlich
sehr hoch aufgelöste Überwachung des Sturms, um auf eine rasante
Intensivierung zeitnah mit Warnungen reagieren zu können.


Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.10.2017

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