Thema des Tages

22-06-2017 14:40

"Warme" und "kalte" Gletscher

Gletscher sind aus gefallenem Schnee hervorgegangene Eismassen, die
sich talwärts bewegen, bis sie (im "Zehrgebiet") durch Zerbrechen,
Schmelzen und Verdunsten des Eises abgebaut werden. Sie entstehen in
den Polarländern sowie in den Hochgebirgen jenseits der Schneegrenze,
und zwar dort, wo im Jahresmittel mehr Schnee fällt, als abtauen oder
verdunsten kann ("Nährgebiet"). So kommt es im Laufe der Zeit zur
"Akkumulation" (Ansammlung) des Schnees und zur "Metamorphose"
(Umwandlung) in Gletschereis. Dabei verwandeln sich die
Schneekristalle zu größeren, einheitlichen Eiskristallen mit
unregelmäßigen Oberflächen, die "Gletscherkörner" genannt werden,
gelenkartig ineinander greifen und so Bewegungen des Gletschers
ermöglichen.

Frisch gefallener Neuschnee bildet zunächst eine Schicht aus
Schneekristallen und mit Luft gefüllten Hohlräumen (Dichte ca. 30 bis
60 kg/m³, Luftgehalt ca. 90 %). Daraus entsteht nach etwa einem Jahr
eine Altschneedecke mit ersten Gletscherkornbildungen und einer
Dichte von ca. 200 bis 500 kg/m³. Durch den Druck ihrer eigenen
Masse, ggf. durch Schmelzen und erneutes Gefrieren ("Regelation")
verdichtet sich nach mehreren Jahren die Schneedecke immer mehr und
es entstehen Firn (Luftgehalt ca. 60 %) bzw. Firneis (Dichte über 400
kg/m³, Luftgehalt ca. 30 %). Die Bildung von Gletschereis geht mit
einer starken Kompression des Materials einher, stellenweise kann
durchaus die Dichte massiven Eises (ca. 900 kg/m³ bei nur wenigen
luftgefüllten Poren) erreicht werden.

Die Metamorphose des Schnees zu Gletschereis hängt stark von den
herrschenden klimatischen Bedingungen ab. Man unterscheidet
sogenannte "warme oder temperierte" Gletscher, wie beispielsweise
diejenigen in den Alpen, von den "kalten und trockenen" Gletschern,
wie sie beispielsweise in der Arktis und Antarktis anzutreffen sind.
Aufgrund des hohen Reflexionsvermögens kurzwelliger Sonnenstrahlung
und der großen spezifischen Wärmekapazität bei geringer
Wärmeleitfähigkeit des Eises gelten Gletscher als thermisch träge. Je
nach Größe und Gestalt, können Gletscher sowohl das lokale als auch
das weltweite Klima beeinflussen. Unversehrte Gletscheroberflächen
reflektieren bis zu 90 % des einfallenden Sonnenlichtes, das dann
nicht mehr zur Erwärmung beitragen kann, und emittieren andererseits
sehr stark im langwelligen Strahlungsbereich (hoher Wärmeverlust).
Sie bilden also prinzipiell eine Quelle stetiger Abkühlung, man
spricht auch von einer "Wärmesenke" im irdischen Klimasystem.

In den warmen Gletschern der Tropen (z.B. Kilimandscharo), Subtropen
(z.B. Himalaya) und mittleren Breiten (u.a. Alpen) liegt die
Temperatur des Eises nicht weit unter dem Gefrierpunkt, bei ihnen hat
sich der Schnee in wenigen Jahren zu Gletschereis transformiert. Sie
reagieren empfindlicher als kalte Gletscher auf Masse- bzw.
Druckverlagerungen sowie auf Temperatur- bzw. Klimaänderungen. Ab
einer Mächtigkeit von etwa 30 m fangen temperierte Gletscher an, sich
vermöge der Anomalie des Wassers (Erniedrigung des Schmelzpunktes des
Eises durch Druckerhöhung) unter dem Einfluss der Schwerkraft "zu
bewegen", man sagt dann, die Gletscher "fließen". Beispielsweise übt
ein 30 m mächtiger Gletscher einen Druck von knapp 265000 Pascal
(Einheitenzeichen Pa, 1 Pa = 1 N/m², Newton pro Quadratmeter) auf das
darunterliegende "Gletscherbett" aus.

Bei den kalten und trockenen Gletschern der Polargebiete wird die
Eisbildung aufgrund der dort herrschenden, tiefen Temperaturen nicht
durch Schmelzprozesse unterstützt, sie bleiben quasi ganzjährig
durchweg gefroren. Beispielsweise liegt die Temperatur im Inneren des
grönländischen Inlandeises (Stichwort "Deckgletscher") etwa zwischen
-13 °C und -25 °C, in diesem Temperaturbereich spielt die anomale
Druckschmelzpunkterniedrigung keine Rolle mehr. Die Umwandlung von
Schnee in Eis muss auf "rein mechanischem Wege" erfolgen und dauert
im Falle des grönländischen Inlandeises bis zu 200 Jahre. Kalte
Gletscher bewegen sich kaum, sind häufig am Untergrund angefroren und
reagieren nur träge auf Temperatur- bzw. Klimaänderungen.

Auf der Abbildung (fotografiert von Steve Jurvetson,
http://flickr.com/photos/jurvetson/29800121) unten sehen Sie einen
zumindest in seinem Oberlauf im Bereich des grönländischen
Inlandeises kalten "Talgletscher", der mit seiner mehrere Kilometer
langen Zunge an der Südostküste Grönlands bei etwa 69,3° nördlicher
Breite und 25,2° westlicher Länge in die Dänemarkstraße fließt. Die
dunklen Bänder bestehen aus abgetragenem Geröll, das von den
zusammenfließenden Gletscherströmen mitgeschleppt wurde
("Mittelmoränen").


Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 22.06.2017

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