Thema des Tages

15-06-2017 14:40

Gewittervielfalt

Am heutigen Donnerstag steht Deutschland eine markante Gewitterlage
bevor, die regional zu Unwettern führen kann. Wenn von besonders
schweren Gewittern die Rede ist, fällt nicht selten der Begriff
?Superzelle?. Vielleicht haben sie ja auch schon mal davon gehört und
sich gefragt, was es damit auf sich hat.

Nun, wie so häufig sorgt die Natur auch bei Gewitterzellen für eine
schier unendliche Vielfalt. Kein Gewitter gleicht dem anderen und
doch lassen sich immer wiederkehrende Merkmale finden, durch die eine
grundsätzliche Einteilung in drei Gewittergrundformen möglich wird.
Neben den Einzel- und Multizellen identifiziert man auch die bereits
erwähnten Superzellen, die in gewisser Hinsicht, insbesondere aber
durch ihre Stärke, die ?Königsklasse? darstellen.

Am Anfang einer jeder Gewitterentwicklung, lange bevor eine
Einordnung in eine der drei Grundformen möglich wird, steht ein
?schlotartiger? Aufwind. Dies ist eine recht schmale, meist vom Boden
aus viele Kilometer in die Höhe reichende Luftsäule, in der
feucht-warme Luft mit hoher Geschwindigkeit (teils über 100 km/h)
nach oben steigt. Durch Kondensation des in der Luft enthaltenen
Wasserdampfes wird der Aufwind schließlich durch eine mächtige
Quellwolke erkenntlich. Der Grundbaustein eines Gewitters, eine
?Zelle? ist damit entstanden. Das Zusammenspiel verschiedener
atmosphärischer Parameter (wie z. B. Temperatur, Feuchte und Wind)
entscheidet nun darüber, welcher Grundform das Gewitter angehören
wird. Von besonderer Relevanz bei der Einordnung in eine der drei
Grundformen sind neben der Stärke vor allem die Lebensdauer und
räumliche Ausdehnung bzw. die Anzahl der Gewitterzellen.

Gewitter, die nur einen Aufwind (also eine Zelle) aufweisen, bevor
sie wieder vollständig zerfallen, nennt man ?Einzelzellen?. Sie
entstehen bei Wetterlagen, die durch eine geringe Windscherung, also
durch geringe Änderungen des Windes mit der Höhe, gekennzeichnet
sind. Die verschiedenen Mechanismen in der Gewitterwolke sorgen nun
dafür, dass der Aufwind bereits nach wenigen Minuten ?abstirbt?. Die
Einzelzelle durchläuft die verschiedenen Entwicklungsstufen
(Entwicklungs-, Reife- und Zerfallsstadium) folglich sehr schnell,
sodass der gesamte Lebenszyklus lediglich 30 bis 60 Minuten dauert.
Die allseits bekannten Wärme- oder Hitzegewitter gehören meist diesem
Typ an und können lokal durchaus für heftigen Starkregen, Hagel und
Gewitterfallböen sorgen.

Nimmt die Geschwindigkeit des Windes mit der Höhe rasch zu bei
gleichzeitig geringen Änderungen der Windrichtung (starke
Geschwindigkeitsscherung, schwache Richtungsscherung), entstehen
bevorzugt ?Multizellen?. Sie bestehen aus einer Gruppe von
Einzelzellen, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien
befinden und sowohl haufenförmig als auch linienartig angeordnet sein
können. Im Gegensatz zu Einzelzellen weisen Multizellen eine weitaus
größere horizontale Ausdehnung (typisch sind 15 bis 30 km) sowie eine
gewisse ?selbsterhaltende Neigung? auf, durch die immer wieder neue
Einzelzellen entstehen. Die Einzelzellen bilden sich dabei etwa alle
5 bis 10 Minuten, wobei insgesamt bis zu ca. 30 Zellen aufeinander
folgen können. Nicht selten ?lebt? ein solcher ?Multizellencluster?
dadurch mehrere Stunden. Neben Starkregen und Hagel wartet die
Multizelle aufgrund ihrer Ausdehnung und Lebensdauer auch mit einer
erhöhten Überschwemmungsgefahr auf.

Wenn nun die starke Geschwindigkeitsscherung durch eine ebenso starke
Richtungsscherung des Windes ergänzt wird, können sich unter
bestimmten Voraussetzungen die berüchtigten ?Superzellen? entwickeln.
Die Windscherung ist im Zusammenspiel mit sehr energiereicher Luft
maßgeblich für die Ausbildung eines starken, im Wolkeninneren
rotierenden Aufwindstroms, der sozusagen den Motor des Gewitters
darstellt und es stets mit feucht-warmer Luft versorgt. Komplexe
atmosphärische Prozesse resultieren zudem in zwei Abwinden an der
Vorder- und Rückseite des Gewitters. Durch die räumliche Trennung von
Auf- und Abwinden kann die Superzelle lange wüten, in Extremfällen
durchaus 12 Stunden und länger. Die Interaktion zwischen Auf- und
Abwinden kann zudem unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Tornado
führen. Große Gefahr geht darüber hinaus von riesigem Hagel und
extrem heftigem Starkregen aus. Nicht umsonst sind Superzellen in
ihrer mächtigsten Ausprägung die räumlich und zeitlich größten und
gefährlichsten Gewitterzellen.

Und was erwartet uns heute? Fakt ist, die Luftmasse ist sehr warm und
besonders in der Südwesthälfte feucht ? und damit äußerst
energiereich. Das sind schon mal gute Voraussetzungen für die
Entstehung kräftiger Gewitter. Da zudem moderate
Geschwindigkeitsscherung und eher geringe Richtungsscherung des
Windes vorherrscht, sollten (linienartig geformte) Multizellen die
vorherrschende Gewitterform sein. Die eine oder andere Superzelle
kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, vor allem dann, wenn das
Windfeld beispielsweise durch Mittelgebirge modifiziert wird und doch
ausreichend Richtungsscherung vorhanden ist.

Ob Einzel-, Multi- oder Superzelle, jedes Gewitter ist potenziell
gefährlich. Informieren Sie sich daher zeitnah über Wetter- und
Warnlage, beispielsweise im Internet über dwd.de oder in der
WarnWetter-App.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.06.2017

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