DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-12-2016 21:00
SXEU31 DWAV 221800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 22.12.2016 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
In der Nacht im Süden Glatteisgefahr, dabei Unwetter möglich. Am Freitag meist
trocken und danach windige, wechselhafte und milde Weihnachten, zu denen der
Verfasser allen Leserinnen und Lesern trotzdem eine besinnliche und ruhige Zeit
wünscht. Winterfans, bleibt tapfer!

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 12 UTC
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Aktuell ... hat sich die Frontalzone vergleichsweise geräuschlos dicht an
Deutschland herangeschoben. Sie verläuft vom mittleren Nordatlantik kommend über
Teile Mitteleuropas bis zum nahen Osteuropa, wobei sich der Vorhersageraum vor
einem breiten, nur mit flacher Amplitude ausgestatteten Trog befindet. Dieser
Trog schwenkt im Laufe der Nacht ostwärts durch, gefolgt von einem nicht minder
flachen Höhenrücken.
Der Blick auf die Bodendruckverteilung zeigt einen zur Frontalzone
korrespondierenden langgestreckten W-SW-Steam mit diversen Druckminima von der
Irminger See bis zur Barentssee sowie einem Sturmtief weit südwestlich von
Island mit Kurs NO. Dem gegenüber steht eine zonal ausgerichtete Hochdruckzone,
die sich vom Seegebiet westlich der Azoren bis in die Schwarzmeerregion
erstreckt. Kurzum, die Wetterlage ist gerade dabei, sich in Richtung
Westwetterlage umzustellen, wobei zunächst noch die leicht antizyklonale
Variante überwiegt.
Schwer zu detektieren in dem ganzen Umfeld ist eine Front oder Luftmassengrenze.
Zwar legt das im Radar gut ausgeprägte, von SW nach NO über Deutschland
verlaufende Niederschlagsband das Vorhandensein einer Front an genau dieser
Stelle nahe, die Auswertung der diversen Bodenparameter sprechen aber
größtenteils dagegen. Eine niedertroposphärisch thermische Drängungszone
jedenfalls lässt sich weiter nordwestlich finden, weswegen dort - quasi als
Kompromisslösung - eine Höhenfront analysiert wurde. Geben wir uns mal damit
zufrieden, dass wir nicht alle Vorgänge in der Natur sofort verstehen und
erklären können, sondern betrachten das Niederschlagsband rein beschreiben,
phänomenologisch sozusagen. Es wird im Laufe der Nacht zum Freitag von der Mitte
her kommend auf den Süden und Südosten übergreifen, wobei es sich -
offensichtlich dem Überlaufen des Troges sowie der Annäherung an antizyklonales
Umfeld geschuldet - abschwächen soll. Wie stark, das wird von den verschiedenen
numerischen Prognosetools noch unterschiedlich simuliert, was für die weitere
Entwicklung aber nicht ganz unwichtig ist. In großen Teilen Bayerns hält sich
aktuell noch gealtere Kaltluft mit Frost bis zu
-3°C in der Luft und leichtem Bodenfrost bis zu einer Tiefe von 10 cm,
gebietsweise sogar 15 cm, die in den nächsten Stunden nicht ausgeräumt wird.
Trifft das Regenband in der zweiten Nachthälfte auf diese Gebiete, so besteht
die Gefahr von GLATTEIS bis in den UNWETTERBEREICH (siehe Vorabinformation
UNWETTER), weil im Gegensatz zu den Warnungen am Nachmittag und Abend die
Überörtlichkeit erfüllt wäre. Sollten die stündlichen Regenraten aber deutlich
nach unten gehen (Bereich unterhalb etwa 0,3/0,2 mm/h), könnte man auch mit
markanten Warnungen auskommen.
Außerhalb Bayerns hält sich auch in anderen Regionen (Teile BWs, Erzgebirgsraum)
noch Frostluft, wo ebenfalls gefrierender Regen/Nieselregen auftreten kann,
meist aber im markanten Bereich. Mit niedertroposphärisch leichter Abkühlung
geht der Regen im höheren Erzgebirge später in Schnee über, viel Neuschnee steht
aber nicht auf der Karte.
Bliebe noch zu erwähnen, dass es besonders in der Mitte auch hinter dem
Regenband teilweise glatt werden kann durch gefrierende Nässe. Hinzu kommt
Nebel, teils durch aufliegende Wolken.
Thema Wind: Mit Passage eines flachen Bodentroges frischt der SW-Wind an der
Nordsee vorübergehend auf mit Böen 7 Bft, auf den Inseln vereinzelt 8 Bft,
Tendenz zum Morgen hin bereits wieder nachlassend - ebenfalls vorübergehend. Der
Böhmische Wind im sächsischen Elbtal schwächt sich im Laufe der Nacht ganz
allmählich ab.

Freitag ... erreicht das o.e. Sturm- respektive Orkantief bis zum Mittag das
Seegebiet zwischen Island und Schottland (Kerndruck unter 960 hPa), von wo aus
es im weiteren Verlauf in Richtung Norwegische See zieht. Bei uns sorgt
andauernde WLA dafür, dass sich der flache Rücken etwas aufwölbt und dabei ein
Bodenhoch über Süddeutschland stützt, das sich etwas nach Norden ausweitet und
somit im Vorhersageraum für Zwischenhocheinfluss sorgt. Dabei wird schwächen
sich die anfänglich südlich der Donau noch auftretenden leichten Regenfälle mit
möglicher Glatteisbildung mehr und mehr ab, so dass damit bis spätestens Mittag
Schluss sein sollte.
Ansonsten dämmert der letzte Tag vor Heilig Abend zunächst relativ uninspiriert
vor sich hin mit z.T. zähem Nebel oder Hochnebel bzw. vielerorts starker
Bewölkung. Chancen auf Auflockerungen oder gar sonnige Abschnitte sind
vornehmlich an den Alpen sowie an den Nordrändern der Mittelgebirge gegeben.
Während es in einigen Senken Ostbayerns schwer wird, die Temperatur über den
Gefrierpunkt zu hieven, reicht es im Westen stellenweise für 8 oder 9°C plus,
was aber nur die Ouvertüre zur bevorstehenden "Weihnachtshitze" darstellt.
Nicht zu vergessen ist der Wind, der nach der morgendlichen Pause im
Tagesverlauf zunächst an der Nord-, später auch an der Ostsee sowie in einigen
Hochlagen aus S bis SW kommend sukzessive auffrischt. An der Nordsee wird in
Böen Windstärke 7-8 Bft, auf offener See zum Abend hin auch 9 Bft erreicht,
während die Ostsee meist mit 7 Bft auskommt. Dafür konvergiert Deutschlands
klimatologisch windigster Punkt, der Brocken, in Richtung schwerer Sturm 10 Bft.


In der Nacht zum Samstag erreicht das Orkantief - es handelt sich übrigens um
ANTJE - wie gesagt die Norwegische See, wobei es sich auf etwas unter 955 hPa
vertieft. Das zugehörige okkludierende Frontensystem greift von NW her auf
Deutschland über und schwenkt relativ zügig südostwärts. Die zugehörigen
Niederschläge - meist ist es Regen - erreichen bis zum frühen Morgen etwa eine
Linie Südschwarzwald-Oberfranken-Erzgebirge, während es im W und N alsbald
wieder aufhört. Aufgrund des allgemein auflebenden südwestlichen Windes und der
damit in Gang kommenden Durchmischung ist die Wahrscheinlichkeit für
gefrierenden Regen deutlich geringer als in der heutigen Nacht zum Freitag. Am
ehesten ist dieses Phänomen örtlich im östlichen Mittelgebirgsraum vorstellbar.
Leichten Frost gibt es vom Erzgebirge bis hinunter nach Niederbayern und von
dort weiter bis zum Alpenrand.
Im Blickpunkt des (Warn-)Geschehens steht eindeutig der SW-Wind, der noch etwas
zulegt und dabei bis nach Süddeutschland ausgreift. Aufgrund der zunächst
stabilen Schichtung reicht es in der Mitte und im Süden nur in den Hochlagen für
warnwürdige Böen, die je nach Exposition bis Stärke 9 Bft gehen, wobei die
Passage der okkludierenden Kaltfront ein kleines Maximum in der Windentwicklung
darstellt. An der gesamten Küste, teils auch im unmittelbar angrenzenden
Binnenland wird es stürmisch 8-9 Bft, an der nordfriesischen Küste sind schwere
Sturmböen 10 Bft möglich. In Teilen der Norddeutschen Tiefebene reicht es für
steife Böen 7 Bft, wohingegen der Brocken - wen wundert´s? - sogar bis in den
Orkanbereich einsteigt.

Samstag ... schreiben wird den 24. Dezember, gemeinhin als Heilig Abend bekannt.
Mythen und Geschichten rund um die Korrelation dieses besonderen Tages mit der
Natur, genauer, mit den atmosphärischen Vorgängen gibt es reichlich, was an
dieser Stelle nicht näher erörtert werden soll. Die Aufgabe des Verfassers liegt
darin, nüchtern die vermeintlichen Fakten dieses Tages und der darauffolgenden
Nacht zu skizzieren bzw. zu prognostizieren, und da sieht die Sache wie folgt
aus.
Deutschland verbleibt unter der leicht mäandrierenden Frontalzone im Zustrom
vergleichsweise milder Atlantikluft, die alles andere als winterliches Ambiente
bei uns versprüht - von ganz wenigen, meist ganz hoch gelegenen Orten mal
abgesehen. Zunächst mal erreicht besagte Okklusion bzw. Kaltfront mit dem
frontalen Regen bis Mittag die Alpen. Dort liegt die Schneefallgrenze - leider,
so viel Verfassermeinung muss an dieser Stelle erlaubt sein - bei satten 1400 m.
Postfrontal setzt sich ein Schwall erwärmter und sehr gut durchmischter
Meereskaltluft durch (T850 etwas unter 0°C), in der ein durchschwenkender
KW-Trog etwas Höhenkaltluft in den Norden spült. Dort geht die
500-hPa-Temperatur auf -30°C oder etwas darunter zurück, was den einen oder
anderen Schauer, vielleicht sogar ein kurzes Gewitter zur Folge hat. Sollten die
Schauer nach Süden die Mittelgebirgsschwelle tangieren, was nicht sicher ist,
könnte es ganz oben mal für einen Schneeschauer reichen; am ehesten dürfte das
im Oberharz der Fall sein. Mit 6 bis 10°C, den Rhein entlang bis zu 12°C wird es
alles andere als kalt. Einzig im und am östlichen und südöstlichen Bergland
stehen mit 2 bis 5°C etwas niedrigere Werte auf dem Zettel.
Windtechnisch bleiben wir in Deutschland prominent im Rennen. Zwar beginnt sich
das Tief über der Norwegischen See aufzufüllen, dafür steigt der Luftdruck im
Süden etwas an, so dass der Gradient sehr ausgereift bleibt. Zudem klopft auf
dem Atlantik bereits das nächste Orkantief an, das auf ähnlicher Zugbahn wie
Vorgängerin ANTJE nordostwärts schwenkt und am Sonntagmorgen knapp südlich von
Island steht. Die Folge ist ein mäßiger, nach Norden hin frischer bis starker
SW-Wind, der an der See und im unmittelbar angrenzenden Binnenland in Böen
Stärke 8-9 Bft, bis in die Norddeutsche Tiefebene hineingreifend Stärke 7 Bft
erreicht. Zur Mitte und nach Süden beschränken sich warnwürdige Böen im
Wesentlichen auf das Bergland und einige freie exponierte Lagen. In Gipfel- und
Kammlagen reicht es für Stärke 8-10 Bft, auf dem Brocken sogar bis zu 12 Bft.

In der Nacht zum Sonntag (1. Weihnachtstag) dreht die Höhenströmung zwischen dem
abziehenden Trog und einem sich westlich von uns aufwölbenden Rücken auf NW,
während bodennah der flotte, geostrophische Westwind erhalten bleibt. Kräftige
WLA kündigt die Annäherung einer Warmfront an, die zu dem besagten neuen
Orkantief gehört. Dabei breiten sich überwiegend leichte Niederschläge von NW
her über weite Teile des Landes aus (der SW bleibt etwas ausgespart), die
überwiegend als Regen fallen. Einzig in den östlichen und südöstlichen
Mittelgebirgen fällt oberhalb von rund 800 m etwas Schnee, während die
Schneefallgrenze an den Alpen etwa zwischen 1000 m im Osten und 1400 m im Westen
schwankt. Abgesehen von einigen Hochlagen bleibt es frostfrei.
Der SW-Wind nimmt tagesgangbedingt und im Zuge der WLA geringfügig ab, bleibt
aber im Norden und im Bergland warnwürdig unterwegs.

Sonntag ... schwenkt von Westen her der Höhenrücken heran, der aber mitnichten
für Hochdruckeinfluss sorgt. Er wird von besagter Warmfront des zur Norwegischen
See ziehenden Orkantiefs überlaufen, so dass wir in dessen breiten Warmsektor
gelangen. Dieser ist nach SW hin leicht antizyklonal konturiert, was dort nur
geringfügigen Regen zur Folge hat. Ansonsten bleibt es weitgehend bedeckt und
regnerisch, allerdings mit von W abnehmender Niederschlagstendenz aufgrund
erlahmender WLA. Am meisten Regen fällt am östlichen Alpenrand, wo die
Schneefallgrenze wahrscheinlich auf 1500 m oder sogar darüber steigt -
widerlich. Steigen tut auch die 2m- Temperatur, und das nicht zu knapp. So
reicht es im N und W verbreitet für zweistellige Maxima, teils bis zu 13°C,
während es sonst meist "nur" 4 bis 9°C sind.
Der SW-Wind weht weiterhin flott mit Böen 7 Bft, im Bergland je nach Exposition
8 bis 11 Bft, an der See meist 8 Bft.



Modellvergleich und -einschätzung
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Die großräumige Umstellung hin zu einer windigen und milden W-SW-Lage ist
unstrittig. Das meiste Kopfzerbrechen bereiten die Niederschläge in der
kommenden Nacht im Süden, wo es noch vielfach frostig ist. Die Unwägbarkeiten
dazu wurden im Text eörtert.
Noch ein Wort zum Frontenkonzept: In der jüngsten Analyse von 18 UTC wurde eine
wellende maskierte Kaltfront analysiert, die im hinteren Teil des Wolken-
respektive Regenbandes zu finden ist und durch einige Windsprünge markiert ist.
Dafür wurde die zuvor eingeführte Höhenfront aufgegeben, wohl wissend, dass man
über das Fronten- und Analysekonzept an dieser Stelle ad infinitum diskutieren
könnte. Es scheint aber so zu sein, dass die Bjerknessche Polarfrontentheorie in
diesem Fall an seine Grenzen stößt.



Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann