Thema des Tages

29-09-2016 14:40

Morgentau als Quell des Lebens

In den letzten Tagen wurde an dieser Stelle schon mehrmals über den
in weiten Teilen Deutschlands zu trockenen September sowie dessen
Auswirkung auf die Vegetation berichtet. Beim Anblick von
vertrocknetem Laub und Sträuchern, aber auch braunen Rasen- und
Wiesenflächen kommt dem einen oder anderen wohl der Vergleich unserer
Natur mit einer "steppenartigen" Vegetation in den Sinn. In den
Wüstengebieten unseres Planeten ist es natürlich noch weitaus
trockener, stellen dort ein paar wenige Regentropfen über viele Jahre
hinweg alles an Niederschlag dar.
Wie kommt es dann, dass in diesen Regionen trotz des Wassermangels
einige wenige Pflanzen und Tiere überleben können?

Der dafür alles entscheidende Prozess ist die Taubildung und die
daran evolutionsbedingte Anpassung von Flora und Fauna. Dieses
Zusammenspiel macht in diesen trockenen Regionen erst Leben möglich.


Zunächst einmal zu den physikalischen Prozessen der Tauentstehung:
Der in der Luft maximal mögliche Wasserdampfgehalt hängt von der
Lufttemperatur ab. Dabei gilt: je höher die Temperatur, desto mehr
Wasserdampf kann die Luft aufnehmen. Kühlt sich die Luft jedoch ab,
wobei der absolute Feuchtegehalt in der Luft erhalten bleibt,
erreicht sie bei einer bestimmten Temperatur Wasserdampfsättigung.
Einfacher gesagt, die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit entspricht
100 Prozent. Diejenige Temperatur, bei der Sättigung eintritt, wird
auch als "Taupunkttemperatur" bezeichnet.

Sinkt nun die Temperatur z. B. in unmittelbarer Erdbodennähe unter
den Taupunkt, wird die Sättigung von 100 Prozent kurzzeitig
überschritten, wodurch die überschüssige Feuchtigkeit von der
Umgebungsluft nicht mehr aufgenommen werden kann. Somit kommt es zum
Übergang vom gasförmigen in den flüssigen Zustand des Wasserdampfs
(Kondensation), der sich anschließend an Gegenständen oder Pflanzen
in Form von kleinsten Wassertröpfchen niederschlägt. Diese
Feuchteablagerung wird als "Tau" bezeichnet.
Bilden sich die Wassertröpfchen durch Kondensation nicht an
Oberflächen, sondern in der Luft, so spricht man von Dunst oder
Nebel.

Wann genau tritt dieses Phänomen der Taubildung auf?
Damit die Lufttemperatur am Erdboden bzw. in den untersten
Luftschichten unter die Taupunkttemperatur sinkt, muss dort eine
starke Wärmeausstrahlung (Wärmeabgabe) stattfinden. Diese tritt in
besonderem Maße ein, wenn in der Nacht die tagsüber aufgenommene
Wärmeenergie bei wolkenlosem Himmel wieder nahezu ungehindert in die
Atmosphäre bzw. ins Weltall abgegeben werden kann. Dabei ist
Windstille von großem Vorteil, da dadurch der Nachschub an wärmerer
Luft in Bodennähe oder durch vertikale Umlagerungen ausbleibt und
infolgedessen die Auskühlung nicht verhindert wird.
Der Höhepunkt der nächtlichen Auskühlung wird bei klarem Himmel um
die Zeit des Sonnenaufgangs herum erreicht. Dies ist zugleich häufig
der Zeitpunkt, an dem die nächtliche Temperatur ihr Minimum erreicht.
Diese Art der Taubildung wird in der Meteorologie auch als
"Strahlungstau" bezeichnet und gilt für alle Regionen der Erde, somit
auch für Wüstenregionen.
Gerade dort kühlt es aufgrund der fehlenden Bewölkung in den Nächten
besonders stark ab und begünstigt somit die Taubildung. Zudem sind
die Sandböden relativ schlechte Wärmespeicher und kühlen daher sehr
schnell aus.

Wie aber nutzen nun Pflanzen und Tiere dieses Phänomen zu ihren
Gunsten?
In den Wüsten und Halbwüsten gibt es Pflanzen (z. B. Flechten), die
den Tau über ihre Blattoberfläche und nicht wie die meiste andere
Vegetation über die Wurzeln aufnehmen. Sträucher oder Gräser führen
hingegen die Tautropfen über ihre Halme zu den Wurzeln und halten
somit ihren Wasserhaushalt aufrecht.
Auch in unseren Breiten trägt der Tau zum gesamten Wasserhaushalt der
Pflanzen bei, allerdings macht dieser Anteil durch das jährlich
größere Niederschlagsdargebot nur einen sehr geringen Anteil aus.
In der Tierwelt gibt es ebenso beeindruckende Techniken der
Wassergewinnung.
Ein Spezialist ist z. B. der sogenannte "Nebeltrinker-Käfer" aus der
Familie der Schwarzkäfer, der nur in der namibischen Wüste vorkommt.
Um den morgendlichen bodennahen Dunst oder Nebel, der oftmals vom
nahen Atlantik landeinwärts verfrachtet wird (begünstigt durch die
starke bodennahe Auskühlung des Wüstenbodens), aus der Luft zu
extrahieren, klettert dieser Käfer nachts auf den Kamm der Sanddünen.
Dort streckt er kopfstandähnlich sein Hinterteil gen Himmel, wodurch
sich an diesem kleine Wassertröpfchen niederschlagen und zu seinem
Kopf hin zusammenlaufen.

So zeigt sich, dass selbst solch ein bei uns nicht seltenes und meist
nur unbewusst wahrgenommenes Phänomen wie die Kondensation und die
daraus resultierende Taubildung in anderen Regionen unserer Erde
geradezu lebensnotwendig ist.


M.Sc.-Met. Andreas Würtz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.09.2016

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst